Unterwegs in Sachen Verbesserung der Welt

Kinga von Gyökössy-Rudersdorf, Mitgründerin des Vereins Frauen helfen Frauen

Kinga von Gyökössy-Rudersdorf, Mitgründerin des Vereins Frauen helfen Frauen

„Ich brauch’ wenig Schlaf“, sagt die 69-Jährige, die, so scheint es, an zwei oder gar drei Orten gleichzeitig sein kann, hört man, wo sie sich überall engagiert: im Migrationsausschuss von Verdi, bei Brot für die Welt, bei den Evangelischen Frauen Württemberg, im Arbeitskreis Asyl, im Weltladen Fellbach, in der Ungarischen Kirchengemeinde, bei der Aktion saubere Kleidung, am Runden Tisch gegen Zwangsheirat und bei Frauen helfen Frauen. Ihre Handtasche – ein kleines mobiles Archiv, prall gefüllt mit Flyern zu nahezu allen sozialen Fragen und Problemen. Die hat sie immer dabei. „Ich hab mehr auf dem Hals als anständig ist. Aber ich will auch viel haben im Leben“, sagt sie in einem Deutsch, das so unangepasst ist wie sie selbst. Das sich nicht verändert hat in all den Jahren, die sie in Deutschland lebt. Obwohl sie unentwegt spricht, laut, schnell und mit tiefer fester Stimme.
Vorgesehen war für sie ein anderes Leben, kommt sie doch aus der ungarischen Oberschicht. Als erstes Kind kam sie 1942 zur Welt. Vier Geschwister folgten. Der Vater Theologe, Psychologe und Autor, die Mutter Schweizerin. „Ich hatte ein super privilegiertes Leben“, erinnert sie sich. Tanz- und Musikunterricht, Theater- und Opernbesuche, Ferien im familieneigenen Sommerhaus. Aber: „Lieb sein, nett sein, hübsch sein, Mund halten, das war für mich nicht das Richtige.“ Viel gestritten habe sie mit dem geliebten Vater, weil „ich mich emanzipieren musste“. Und als nach Stalins Tod ihr großzügiges Wohnhaus mit Bibliothek sowie das Sommerhaus enteignet wurden, fand sie das gerecht. „Niemand braucht Schlösser, wenn die anderen, nichts haben. Wenn du etwas bekommen hast“, sagt sie und streckt die Hände aus, die zwei große Ringe zieren „musst du es auch weitergeben“.

Die Arbeit für und mit Frauen liegt ihr besonders am Herzen. Deshalb engagiert sie sich bei Frauen helfen Frauen. Von Anfang an. Gemeinsam mit vier Mitstreiterinnen hat sie 1977 den Verein gegründet. Und rückblickend stellt sie fest: „Damals waren die Frauen viel lauter als jetzt.“ Das war notwendig, um sich Gehör zu verschaffen, in einer Zeit, in der der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister Arnulf Klett kundtat, in seiner Stadt werde in den Familien nicht geschlagen.

Dass es Frauen gibt, die in ihrem Zuhause nicht sicher sind, hat Kinga von Gyökössy-Rudersdorf schon früh erfahren. Vom Vater, der Pfarrer in einer Arbeitergemeinde war. Noch gut erinnert sie sich an die Zahltage. Dann kamen am Abend Frauen ins Pfarrhaus, verzweifelt, suchten Hilfe und Zuflucht. Weil die Männer betrunken waren und prügelten. Da war sie fünf, sechs Jahre alt und der Vater sagte zu ihr: „Es ist eine Schweinerei, dass die Frauen so ausgeliefert und schutzlos sind.“

Mit 23 Jahren ging die Ungarin in den Westen. „Dahin, wo alle hin wollten.“ Als Medizinisch-technische Assistentin arbeitete sie in einem Radiologischen Institut in Tübingen. Eine „schauderhafte Zeit“ sei das gewesen. Allein habe sie sich gefühlt, missverstanden und diskriminiert. Sie schließt die leuchtend blauen Augenlider und einen kurzen Moment scheint ihre überbordende Energie zu versiegen. Nachdenklich räumt sie ein: „Dass das so war, war sicher auch mein Fehler.“

Nach einem Jahr kehrte sie zurück nach Ungarn. „Mit großer Fröhlichkeit.“ Doch sie kam wieder. Der Liebe wegen. Einen Deutschen hat sie geheiratet. Einen Theologen und Soziologen. Mit ihm war sie mit dem Deutschen Entwicklungsdienst in Afghanistan und im Jemen. Mit ihm ist sie heute noch auf der ganzen Welt unterwegs, um zu helfen. Und mit ihm hat sie eine Tochter bekommen. Spät. Im Alter von 40 Jahren, als sie nicht mehr gewagt hatte zu hoffen, dass sich dieser Wunsch erfüllen würde. Auf den Namen Réka haben sie ihr Kind getauft, „weil das ein Name ist, der in vielen Ländern bekannt ist“.

Die Welt, die hat sich die Kosmopolitin nach Weinstadt-Endersbach geholt – in ihre Drei-Zimmerwohnung mit Blick auf das Remstal. Kaum ein Fleckchen an den Wänden, das nicht bepflastert ist mit Schätzen von ihren unzähligen Reisen: Kopfbedeckungen aus Asien, Schmuck aus dem Orient und Afrika, Bilder, Socken, Puppen. „Jedes einzelne erzählt eine Geschichte“, erklärt sie und setzt sich fürs Foto auf die ausladenden roten Samtsofas aus Afghanistan.

Woher hat sie die Kraft für dieses ruhelose Leben? „Von Gott“, antwortet sie, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen und ergänzt: „Das klingt witzig, aber es ist so wie eine Berufung.“

Und wie kommt ihr Mann Heiner mit ihrem unermüdlichen Engagement zurecht? „Da musst Du ihn selber fragen,“ sagt sie lachend und ruft seinen Namen in Richtung Küche. Im Türrahmen erscheint ein grauhaariger Mann. Einer, das wird schnell deutlich, der viel zu sagen hat aber sich nicht gerne in den Mittelpunkt stellt. „Jeder macht das, was ihm Spaß macht. Ich versteh’s auch nicht“, sagt er und lacht. Ein leises wissendes Lachen, in dem Wohlwollen und Liebe mitschwingen.

„So jetzt sind wir fertig“, unterbricht die Ruhelose unvermittelt das Gespräch, springt auf und geht in die Küche. Sie hat für den Gast ein fünfgängiges indisches Menü vorbereitet. Schon früh am Morgen. „Ich bin eine gute Köchin“, stellt sie fest und rührt in einem der fünf Töpfe. Und: „Beim Kochen kann ich mich entspannen.“

Noch längst sind nicht alle Fragen beantwortet und nur ein kurzer Augenblick aus den bewegten 69 Jahren ist auf Papier gebannt. Aber sie muss aufbrechen, zum nächste Termin: Werner Simpfendörfer liest aus seinem Buch ‚Ein Leben in der Ökumene’.

Beim Gehen erzählt sie von Kirchheim unter Teck. Dort war sie gestern. Wo? Bei einem Frauenfrühstück hat sie einen Vortrag über „Gut leben anstatt viel haben“ gehalten. Ihr Mann lacht. Dieses leise viel sagende Lachen. „Sie weiß manchmal nicht mehr, ob sie in Meckenbeuren oder Durlesbach war“, sagt der 70-Jährige und eilt ihr hinterher. Sie ist schon weit voraus.

 

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