Pressemitteilung
Frauenhaus mit Zukunft
Neukonzeption von Schutz und Sicherheit im Autonomen Frauenhaus Stuttgart
Die Anonymität des Frauenhauses gilt als Grundprinzip der Frauenhausarbeit. In den vergangenen 30 Jahren wurden Schutz und Sicherheit der Frauenhausbewohnerinnen primär über die Geheimhaltung des Standorts und der Straßenadresse erreicht. So waren die Bewohnerinnen vor weiterer Gefährdung geschützt und es stand ihnen ein Schutzraum zur Stabilisierung und zum Aufbau einer neuen Perspektive zur Verfügung.
Gegenwärtig wird das Prinzip der Anonymität durch (kommunikations)technische Entwicklungen zunehmend herausgefordert. Handyortung und GPS-Signal-Ermittlung, die Fallstricke von sozialen Netzwerken sowie die schlichte Möglichkeit einer Veröffentlichung der Straßenadresse im Internet sind eine Gefahr für die Aufrechterhaltung der Anonymität eines Frauenhauses und somit für die Sicherheit der schutzsuchenden Frauen und Kinder.
Zudem ist die Geheimhaltung der Adresse mit Einschränkung für die Lebensführung der Frauen und ihrer Kinder und mit einem erheblichen Aufwand für die Mitarbeiterinnen verbunden. Beides verschärft sich durch die beschriebenen technischen Entwicklungen und führte zu einer fachlichen Auseinandersetzung damit, ob die Anonymität nach wie vor das adäquate Sicherheitskonzept für alle BewohnerInnen des Frauenhauses darstellt und wie alternative Sicherheitsmaßnahmen aussehen könnten.
Im Jubiläumsjahr 2013 legte das Autonome Frauenhaus Stuttgart deshalb die „Neukonzeption von Schutz und Sicherheit“ vor. Sie trägt den beschriebenen Entwicklungen Rechnung und schafft ein zukunftsfähiges Frauenhaus, indem sich die Sicherheitsmaßnahmen an den individuellen Sicherheitsbedarfen der schutzsuchenden Frauen orientieren.
Vorgesehen ist ein Frauenhaus an zwei „Standorten“ mit unterschiedlichen Sicherheitskonzepten:
• Anonymen Schutzwohnungen: Bei einer Bedrohung an Leib und Leben bleibt die Anonymität – ergänzt durch weitere Sicherheits-maßnahmen – das adäquate Schutzkonzept. Sind Frauen und ihre Kinder an Leib und Leben bedroht, stehen die Einschränkungen und der Aufwand zur Aufrechterhaltung der Anonymität nach wie vor im Verhältnis zum hohen Sicherheitsbedarf. Die Unterbringung erfolgt in Anonymen Schutzwohnungen. Da diese Wohnform einem weitaus kleineren Personenkreis als das bisherige Frauenhaus vorbehalten bleibt, erhöht sich die Sicherheit damit auch für die dort untergebrachte Zielgruppe.
• Gesichertes Haus: Für den anderen Teil der schutzsuchenden Frauen kann die notwendige Sicherheit über andere Maßnahmen hergestellt werden, die mit geringeren Einschränkungen verbunden sind. Im Gesicherten Haus erfolgt der Schutz vor allem über technische und personelle Sicherheitsmaßnahmen.
Der veränderte Umgang mit Sicherheit bzw. der Verzicht auf die Anonymität im Gesicherten Haus stellt einen Paradigmenwechsel dar und eröffnet auf drei Ebenen die Chance auf einen veränderten Umgang mit Häuslicher Gewalt:
Auf der individuellen Ebene der BewohnerInnen bedeutet das Wohnen im Gesicherten Haus, sich nicht länger verstecken zu müssen. Die Bewohnerinnen erfahren weniger Einschränkungen in der Lebensführung und größere Normalität.
Die Institution Frauenhaus arbeitet nicht länger ausschließlich anonym und im Verborgenen. Im Zuge der Aufrechterhaltung der Anonymität ist bislang aus Sicherheitsgründen der Zugang Dritter, auch von Fachkräften aus dem Hilfesystem, nur in Ausnahmefällen möglich. Nach der Umsetzung der Konzeption kann im Gesicherten Haus bei Bedarf Hilfe und Unterstützung durch Fachdienste von außen hinzugezogen werden, z. B. durch soziale Dienste, Familienhebammen oder Persönliche Assistentinnen. Das Gesicherte Haus bietet zudem die Möglichkeit, ausgewiesene, verlässliche und sichere Notübernachtungsplätze für Frauen einzurichten, die umgehend eine sichere Unterkunft benötigen.
Auf der gesellschaftlichen Ebene wird Häusliche Gewalt verstärkt vom vermeintlich privaten zu einem politisch-gesellschaftlichen Thema, da ein Teil des Frauenhauses sichtbar, „mitten in der Gesellschaft“ platziert ist – und mit ihm auch die gesellschaftliche Verantwortung für den Schutz der betroffenen Frauen und ihrer Kinder.
Kontakt: Heike Fischer und Heidi Graf-Knoblauch, Telefon: 0711 / 54 20 21, h.fischer[at]fhf-stuttgart.de, h.graf-knoblauch[at]fhf-stuttgart.de, www.fhf-stuttgart.de